Mein Bruder ist getötet worden. Wir waren zusammen unterwegs im Qamischli in Syrien, und plötzlich wurde er erschossen. Ich weiß nicht von wem, ich weiß nicht, warum. Wahrscheinlich gibt es gar keinen Grund. In Syrien sterben viele Menschen, und ich kenne niemanden, der nicht irgendwen verloren hat, den er liebt. Mal durch Bomben, mal durch Schüsse, mal durch andere Gewalt.
Meine Mutter ist krank, sie hat gesagt, sie schafft es nicht, zu flüchten. Mein Vater wollte sie nicht zurücklassen. Sie schickten mich mehr oder weniger weg, nachdem das Unglück passiert war, vor drei Jahren war das, ich war 18. Mein Vater gab mir all sein Erspartes, damit ich für alle Fälle gewappnet bin.
Es traten einige dieser Fälle ein. Mit zwei weiteren jungen Männern wurde ich in die Türkei gebracht. Wir wurden festgenommen in einem kleinen Dorf, uns wurden abenteuerliche Dinge vorgeworfen. Ich habe vieles verdrängt, was mir im Gefängnis widerfahren ist. Ich habe so viel Hunger gehabt, so viel Angst, so wenig Chancen. Wir waren in winzigen Zellen, manchmal zu dritt, manchmal zu zehnt, und keiner wusste wirklich, warum – nicht einmal die Wachen. So wie Menschen willkürlich ins Gefängnis kamen, so kamen sie auch heraus. Ich auch, nach ein paar Tagen.
Mit einem anderen Freigelassenen schlugen wir uns zum Meer durch, dorthin, wo Boote nach Griechenland starteten. Ich kannte die Geschichten von denen, deren Boot untergegangen war, und ich hatte ein furchtbares Gefühl. Ich war einer der ersten auf dem Boot. Es reichte für 20, 30 Leute, dachte ich. Es wurden viel mehr. Und meine schlimmste Angst wurde wahr: Wir kenterten. Ich weiß nicht mehr viel. Ich wurde bewusstlos. Ich wachte auf einem anderen Boot auf, das nicht so voll war. Mich hatten andere Geflüchtete gerettet, obwohl sie selbst kaum Platz hatten. Ich weiß nicht, was aus meinen Bekannten geworden ist.
In Griechenland war ich ein paar Wochen, ich lebte auf der Straße. Ich versteckte mich vor allem und wollte nicht weiter. Aber ich wollte auch nicht aufgeben. Ich klaute, ich durchwühlte Müll. Dann lernte ich einen anderen Syrer kennen, er war gerade erst angekommen. Er hatte einen Transport organisiert. Wir verstanden uns gut und er ließ mich mitfahren. Wir schlugen uns durch und kamen bis nach Österreich. Der Weg war lang und beschwerlich, aber wir beide wurden wie Brüder. Am Ende standen wir auch gemeinsam vor dem LaGeSo. Wir sind beide in Berlin. Er hat seine Eltern verloren, ich meinen Bruder. Wir sind jetzt Familie. Ich bin seit zweieinhalb Jahren in Berlin. Es ist jetzt unsere Heimat. Es ist eine gute Heimat – auch, wenn wir sie uns nicht ausgesucht haben.
Mein Name ist Tarek, ich bin 21, und das ist meine Geschichte.